Zertifizierungszweifel behindern technologische Vielfalt im Klimaschutz
Erkner, 23.07.2024, Positionspapier des BRM zur Anhebung der THG-Quote: Schwindendes Vertrauen in Zertifizierungen steht der Technologieoffenheit beim globalen Klimaschutz entgegen.
Der BRM (Bundesverband Regenerative Mobilität e.V.) fordert die ambitionierte Anhebung der THG-Quote mit steigender Verfügbarkeit von Erfüllungsoptionen und damit mehr Planungssicherheit bei Investitionsentscheidungen auf dem Weg zur Dekarbonisierung des Verkehrs in Deutschland.
Ein beispielloses Überangebot an Erfüllungsoptionen hat die Wirksamkeit der THG-Quote als Instrument zur Steuerung der Energiewende im Verkehrssektor zuletzt massiv untergraben. Mit einem Volumen von geschätzt etwa 7-8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent über der Treibhausgas-Minderungsverpflichtung im Markt hat sich der Preis für die THG-Minderung um mehr als zwei Drittel reduziert und stagniert dort seither (kommend von über 400 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent im Dezember 2022, auf um die 100 Euro im November 2023).
Zweifelhafte Zertifikate
Marktteilnehmer und Verbände sehen unzureichend nachvollziehbare Quotenzertifikate bei als fortschrittlich deklarierten Biokraftstoffen aus dem Nicht-EU-Ausland als Hauptursache und erkennen mehrjährige Marktverzerrungen durch massive überjährige Vorratsbildung an THG-Quoten bei den Quotenverpflichteten. Die Hoffnung auf Sanktionen wurde bitter enttäuscht: Die Staatsanwaltschaften sind unwillig und aufgrund fehlender Kapazitäten bei Betrug im Nicht-EU-Ausland auch unfähig, die massiven Hinweise auf Betrug überhaupt nachzuvollziehen. Auf Konferenzen von Zertifizierern und Experten wird offen darüber gesprochen, dass Zertifikate aus dem Nicht-EU-Ausland regelmäßig unglaubwürdig sind. Allein der Vergleich der Mengen von Altspeiseölen mit der chinesischen Bevölkerung belegt, dass Betrügereien stattfinden.
Betroffen von der Entwertung der THG-Quote sind alle Anbieter von Erfüllungsoptionen, zuvorderst die mittelständischen Produzenten von zertifizierten Kraftstoff-Alternativen, einschließlich Biokraftstoffen in Deutschland. Aber nicht zuletzt die Elektromobilität leidet unter dem Preisverfall - bis hin zum privaten Betreiber eines E-Autos. Der Verlust bei der Quotenvergütung in Höhe von einigen Hundert Euro pro Fahrzeug und Jahr (sog. THG-Bonus) drückt auf die Absatzzahlen der E-Autos und verzögert mittelbar den Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Referentenentwurf: Erhöhung der THG-Quote
Im Februar 2024 wurde ein aus dem Umweltministerium (BMUV) stammender Referentenentwurf zur Änderung der 36. BImSchV vorgelegt (XX. Verordnung zur Änderung der sechsunddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 21.02.2024). Dieser sieht vor, dass die Treibhausgas-Minderungsquote um 0,1 Prozentpunkte angehoben wird und zeitgleich die Erfüllungsoption „Upstream-Emissionsminderungen“ (UER) als Anrechnung auf die Quote entfällt.
Die vorgesehene Quotenanhebung um je 0,1 Prozentpunkte für die Quotenjahre 2024-2030 ergibt sich aus der Überschreitung des in § 37h Abs. 2 BImSchG genannten Grenzwertes (von 5 Peta-Joule) für das Kalenderjahr 2022 und zwar einzig durch die tatsächlich zur Quotenanrechnung gemeldete Strommenge zur Verwendung in Straßenfahrzeugen.
Dieser Mechanismus kommt zum Tragen, wenn die Quotenanrechnung unerwartet hoher Strommengen dazu führt, dass die Nachfrage nach anderen Quotenerfüllungsoptionen sinkt und somit vorhandenes Potenzial für Klimaschutz im Verkehr ungenutzt bliebe. Die ursprünglich angenommenen Energiemengen aus dem Einsatz von Strom in Elektrofahrzeugen wurden tatsächlich zu 80 % übertroffen.
„Für 2024 steht also die Erhöhung von 9,25 % auf 9,35 % THG-Quote im Raum – das ist absurd niedrig für den Weg zur vollständigen Dekarbonisierung! Mehr sieht der Gesetzgeber aber nicht vor“, erklärt Peter Schrum, Präsident des BRM.
„Dies gilt umso mehr angesichts der jetzigen drastischen Übererfüllung: In Summe stellt die Generalzolldirektion in ihren statistischen Angaben zur Erfüllung der THG-Quote 2022 bereits eine drastische Übererfüllung der THG-Quote mit tatsächlich 8,79 % (gesetzlich 7,0 %) fest, bei der Unterquote für fortschrittliche Biokraftstoffe sogar 2,1 % statt gesetzlich 0,2 %. Mit der Ausweitung der Pauschalanrechnung der Strommengen auf schwere Nutzfahrzeuge N2/N3 im Jahr 2023 sowie durch den forcierten Ausbau der Ladeinfrastruktur ist auch zukünftig mit einer Übererfüllung der THG-Quote mit Strom zu rechnen.“
Einigkeit bei der Definition von Nachhaltigkeitskriterien fehlt
Die generelle Erhöhung der THG-Quotenverpflichtung erscheint also zunächst als konsequente und zielgerichtete Maßnahme im Sinne aller Marktbeteiligten. Indes legt der Referentenentwurf vor allem das Ausmaß an mangelndem Vertrauen in die gesetzlich etablierten Mechanismen und Instrumente offen, wie Stellungnahmen Beteiligter zeigen.
Langjährig etablierte, gesetzlich vorgegebene Nachhaltigkeitskriterien inklusive deren Anwendung in Zertifizierungen und Audits sind die Basis für die THG-Berechnung. Besonders Verbände, deren Kernkompetenz satzungsgemäß im Umwelt- und Naturschutz liegt, erkennen diese offenkundig bis heute nicht an. Mehr noch: dem Einsatz fossiler Energieträger wird der Vorzug gegeben gegenüber derart nachhaltig zertifizierten Kraftstoffen.
Im Entwurf der Biomassestrategie (NABIS) durch die Bundesregierung wird unter Federführung des BMUV eine Streichung von § 37h BImSchG vorgeschlagen, explizit um Förderanreize zur Nutzung von Biomasse zu senken. Biokraftstoffen aus Anbaubiomasse stünden u.a. im Widerspruch zu den Zielen der globalen Ernährungssicherheit (Maßnahme 34 NABIS, Entwurfsfassung vom 06.02.2024).
Dieser grundlegende Dissens geht einher mit begründeten Zweifeln an der Belastbarkeit von Zertifikaten, insbesondere aus dem Nicht-EU-Ausland. Die vorzeitige Abschaffung der erwähnten UER (Upstream Emission Reductions) begrüßen demnach alle – außer jene, die hohe Investitionen in derartige Projekte getätigt haben.
Langfristige Investitionsentscheidungen erfordern eine verlässliche Politik und damit Planungssicherheit. Der Mittelstand ist von der Sprunghaftigkeit der Politik in besonderem Maße betroffen, darin sind sich die Beteiligten einig.
Aufruf zu Objektivität und Einigkeit
Aus Sicht des BRM muss die gemeinsame Basis für die künftige Gesetzgebung ein wissenschaftlich fundierter Konsens sein, den Wirtschaftsverbände, NGOs und Politik und nicht zuletzt die Bevölkerung mittragen. Um Lenkungswirkung zu entfalten, braucht es objektive Kriterien und starke Mechanismen, die deren unbürokratische Anwendung und korrekte Durchsetzung auch außerhalb der EU sicherstellen. Nur so können Planungssicherheit und Investitionsanreize für innovative Technologien geschaffen werden.
„Es braucht die objektiven Kriterien mehr denn je, um nicht Spielball von politischen Strömungen und internationalen Marktverzerrungen zu werden“, ruft Peter Schrum zu Objektivität und Einigkeit auf und kann dabei auf mehr als 20 Jahre Verbandsarbeit im Bereich Biomasse zurückschauen. „Lessons learnt“!
Statt einer gegenseitigen Verdrängung zu Gunsten der herkömmlichen fossilen Energieträger müssen sich die Erfüllungsoptionen in einem fairen Wettbewerb ergänzend entfalten. Die Entwicklung und Verstetigung von Nachhaltigkeitskriterien zur vergleichenden Bewertung sämtlicher Erfüllungsoptionen in der THG-Quote sind dabei die Kernforderung des BRM.
„Wenn wir uns das Konzept Nachhaltigkeit und die zugehörige Zertifizierung jetzt von den Betrügern nehmen lassen werden es Ideologen besetzen“, mahnt Schrum.
Die BRM-Forderungen in Stichpunkten:
Nachhaltigkeitszertifizierungen erweitern und Kontrollmechanismen stärken (grundsätzlich)
- Abbildung aller relevanter Nachhaltigkeitskriterien für alle Erfüllungsoptionen innerhalb einer einheitlichen Zertifizierung (keine zusätzlichen Caps etc.)
- verbessertes Zertifizierungs- und Überprüfungsregime aller Erfüllungsoptionen mit global einheitlicher Verbindlichkeit, inkl. Ausschluss von Marktteilnehmern bei Nichterfüllung/Prüfbarkeit. Verschlanken und Verstetigen.
Ambitionierte Anhebung der THG-Quote mit steigender Verfügbarkeit von Erfüllungsoptionen (kurzfristig konkret umsetzbar)
- Mechanismus zur jährlichen Anpassung des Ambitionsniveaus der THG-Quote bei am Markt günstig verfügbaren Erfüllungsoptionen etablieren („§ 37 h BImSchG für alle“)
- kurzfristige deutliche Erhöhung der Quoten (analog zu § 37 h BImSchG) durch Änderung des BImSchG (§ 37a Abs. 4) und der 38. BImSchV (§ 14 Abs. 1) ergänzend zur Änderung der 36. BImSchV
- Mechanismus zur THG-Quoten-Erhöhung im BImSchG klar regeln und Interpretationsspielräume für nachgeordnete Behörden ausschließen: Berechnungsgrundlage klarstellen
- Zertifizierungen und Audits müssen analog den Anforderungen für Projekte in der EU und Deutschland gelten (z.B. Vor-Ort-Prüfungen im Rahmen von sogenannten „Witness Audits“).
- Streichung von nicht hinreichend validierten Nachhaltigkeitszertifikaten in der behördlichen Datenbank „Nabisy“ – auch rückwirkend. Abschaffung des „Vertrauensschutzes“ (§ 17 Biokraft-NachV).
- Erhöhung der Sicherheitsleistung gemäß § 14 UERV auf 600 EUR/t CO2-Äquivalent und Änderung des § 24 UERV hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Löschung nicht validierter UER-Nachweis
Perspektivische Chancen nutzen
- THG-Quote im Zuge der RED III-Umsetzung in nationales Recht neu aufsetzen und substanziell erhöhen auf mindestens 30 Prozent im Jahr 2030
- CO2-Emissionen von innovativen alternativen Kraftstoffen zur Dekarbonisierung der Bestandsflotte im Straßenverkehr anerkennen (auch LKW-Maut) und damit perspektivisch Aufbau von Produktionskapazitäten von flüssigen Kraftstoffen für den Flug- und Schiffsverkehr fördern, Verlagerung ins Ausland vermeiden und nationale Versorgungssicherheit bewahren
Für Rückfragen und die weitere Diskussion stehen wir gern zur Verfügung!
Peter Schrum, Präsident Dr. Thorsten Gottwald, Vizepräsident Wolfram Kangler, Vizepräsident
Pressekontakt:
BRM Bundesverband Regenerative Mobilität e.V.
Edith Seemann
e.seemann@brm-ev.de
www.brm-ev.de
________________________________________